⏵ 1. Sprachenpolitik
⏵ Einleitung
Laut Sprachengesetz (Bundesgesetz 441.1 über die Landessprachen und die Verständigung zwischen den Sprachgemeinschaften) fördern Bund und Kantone «im Rahmen ihrer Zuständigkeit die Mehrsprachigkeit der Lernenden und Lehrenden» (3. Abschnitt). Mit diesem Gesetz will der Bund nach Art. 2:
a) die Viersprachigkeit als Wesensmerkmal der Schweiz stärken;
b) den inneren Zusammenhalt des Landes festigen;
c) die individuelle und die institutionelle Mehrsprachigkeit in den Landessprachen fördern;
d) das Rätoromanische und das Italienische als Landessprachen erhalten und fördern.
Gemäss diesem Sprachengesetz kann der Bund den Kantonen Finanzhilfen zur Förderung von Projekten gewähren. Die Finanzhilfen können u.a. für Projekte zur Förderung des Erwerbs einer Landessprache mittels zweisprachigem Unterricht gesprochen werden (vgl. Förderung der Landessprachen im Unterricht, Bundesamt für Kultur).
In der Schweiz findet bilingualer Unterricht bislang in zwei- resp. dreisprachigen Kantonen oder auf der Sekundarstufe 2 statt (Elmiger et al. 2022, 16). In den übrigen Kantonen findet er zunehmend in Form von Projekten statt. Neuenburg ist der einzige einsprachige Kanton, der den bilingualen Unterricht auf Volksschulstufe flächendeckend einführt (Biundo 2016, 57).
⏵ 1.1. Argumente für bilingualen Unterricht
Was bringt der bilinguale Unterricht an der Volksschule?
Expertinnen und Experten nennen als Gewinn des bilingualen Unterrichts die hohe Motivation der Lernenden und ihre erhöhten sprachlichen Kompetenzen, insbesondere auf rezeptiver Ebene, sowie deren Einstellungen gegenüber Sprachen und dem Lernen im Allgemeinen. Ausserdem normalisiere der bilinguale Unterricht die vielsprachliche Realität, die ausserhalb des schulischen Kontexts herrsche.

Raphael Berthele
Wie sind die schulischen Leistungen im bilingualen Unterricht?
Studien zeigen, dass der bilinguale Unterricht schon auf der Volksschulstufe etwas bringt (Borel et al. 2019; Fourcaud 2021; Jenny 2023). Kinder und Jugendliche in bilingual geführten Klassen erzielen in den Fremdsprachen bessere Ergebnisse als diejenigen von regulär geführten Klassen. In der Schulsprache erreichen sie gleich gute Ergebnisse. In Mathematik und Englsich sind die Ergebnisse von Kindern und Jugendlichen in bilingual geführten Klassen i.d.R. ebenfalls besser (z.B. DESI 2006).

Marie-Antoinette Oberdorf

Giuseppina Biundo
Warum sind die schulischen Leistungen im bilingualen Unterricht in den meisten Fällen besser?
Die schulischen Leistungen im bilingualen Unterricht können auf verschiedene Gründe zurückgeführt werden:
- Erhöhung der Kontaktstunden mit der Fremdsprache, wenn sie nicht nur im Fremdsprachenunterricht, sondern auch in anderen Fächern benutzt wird,
- konsequenter Abbau von sprachlichen Barrieren durch zahlreichere Bedeutungsaushandlungen und sprachbewussten Unterricht und/oder auch handlungsorientiertere Lernformen
- intensiver Auf- und Ausbau von Problemlösestrategien durch die Konfrontation mit einer Fremdsprache.
- Haltungsänderung gegenüber sprachlichen Fehlern: Das primäre Ziel ist das Verständnis und nicht die Korrektheit, was Hemmungen abbauen und die Sprachkompetenz stärken kann.
⏵ 1.2. Landessprachen oder Englisch
Soll ich bilingualen Unterricht in einer anderen Landessprache oder auf Englisch anbieten?
Die Kinder und Jugendlichen in der Schweiz sind (teilweise erheblich) weniger in Kontakt mit den Landessprachen Deutsch / Französisch / Italienisch / Rätoromanisch, im Gegensatz zur Sprache Englisch, der sie in ihrer Freizeit oft begegnen. Es bietet sich deshalb an, eher die Kontaktzeit zur anderen Landessprache über bilingualen Unterricht zu erhöhen.
Oft ist Englisch beliebter bei Jugendlichen als die Landessprachen, wohingegen jüngere Kinder weniger befangen gegenüber den Landessprachen sind. Gerade weil die Landessprachen als schwieriger erlernbar scheinen als Englisch, sollte man sie durch zusätzliche Kontaktstunden im bilingualen Unterricht stützen. Dadurch, dass die Sprache als Mittel zur Kommunikation eingesetzt wird und Fehler (fast) keine Rolle spielen, verlagert sich der Fokus zu einer funktional ausgerichteten Verwendung der Sprache. D.h., dass vor allem der neue Inhalt verstanden werden muss. Diese Sprachverwendung wird von den Schülerinnen und Schülern i.d.R. als positiv aufgefasst und ermöglicht einen ungezwungeneren Umgang mit der Fremdsprache.
Wenn die Schülerinnen und Schüler bilingualen Unterricht in einer Landessprache erhalten, so sind sie besser in Englisch, auch ohne bilingualen Unterricht auf Englisch. Umgekehrt ist dies nicht der Fall: Wenn der bilinguale Unterricht auf Englisch erfolgt, machen die Schülerinnen und Schüler in den Landessprachen weniger Fortschritte (vgl. Kap. 1.1).

Giuseppina Biundo

Pia Effront-Finck
⏵ 1.3 Gesellschaft und Medien
Wie wird die öffentliche Meinung beeinflusst?
Die Schweiz ist offiziell viersprachig, auch wenn wesentlich mehr Sprachen gesprochen werden als Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch (EDK 2024). Die Mehrsprachigkeit ist im Sprachgesetz verankert und das Bundesamt für Kultur ist damit beauftragt, die Sprachen und die damit verbundenen Kulturen zu fördern.
In der Gesellschaft herrschen jedoch zahlreiche Vorurteile gegenüber den anderen Landessprachen. Diese werden durch die Medien teilweise verstärkt und zementiert (z.B. «Französischlernen ist ein Krampf», SRF Regionaljournal, 5.6.2024 / «Welches Fach hatten sie am wenigsten gern in der Schule? Die meisten sagen jetzt wahrscheinlich Französisch», SRF1, 18.9.2023).
Bei der Implementierung eines bilingualen Projekts ist die Öffentlichkeitsarbeit ein wichtiger Bestandteil, um vorgefassten Meinungen zum bilingualen Unterricht entgegenzuwirken, um darüber aufzuklären, was bilingualer Unterricht ist, um Ängste abzubauen und um Eltern und Gemeindeverantwortliche ins Boot zu holen.

Marie-Antoinette Oberdorf

Laurent Gajo
⏵ 2. Rolle der politischen und schulischen Behörden
Was sind Gelingensbedingungen für einen guten Projektstart?
Der Start eines bilingualen Projekts muss gut überlegt sein und wenn möglich auf einem politischen Entscheid beruhen. Ausgangspunkt kann ein Pilotprojekt sein, das an einem ausgewählten Standort angesiedelt ist. Sofort flächendeckend einsteigen wollen hat sich in vergangenen Projekten nicht bewährt.
Als Grundlage braucht es ein Konzept, das beispielsweise in Anlehnung an ein bestehendes Konzept aus einem anderen Kanton erarbeitet werden kann. Kontakte über die Kantonsgrenze hinaus, auch zu anderssprachigen Kantonen, sind sehr wichtig.

Caroline Kempf

Pia Effront-Finck
Wie kann ein Projekt längerfristig aufrechterhalten werden?
Für ein erfolgreiches Projekt ist eine stringente Kommunikation an alle Beteiligten unerlässlich: Informiert werden müssen Behörden, Medien, Schuldirektionen/-leitungen, Lehrpersonen, Aus- und Weiterbildungsstätte, Eltern usw. Ausserdem müssen die finanziellen Ressourcen sichergestellt sein. Es ist mit Kosten für die Weiterbildung der Lehrpersonen, für die Materialbeschaffung und für eine Entschädigung der Lehrpersonen für die geleistete Mehrarbeit (in den ersten Jahren) zu rechnen. Auch die Öffentlichkeitsarbeit beansprucht Mittel, um das Projekt publik zu machen. Für eine längerfristige Implementierung ist eine wissenschaftliche Begleitung unumgänglich, allenfalls gefolgt von einer Evaluation.
⏵ 3. Verschiedene Modelle
Den einen bilingualen Unterricht gibt es nicht, sondern unzählige verschiedene Formen davon. Zahlreiche Parameter wie das Profil der Lehrperson und der Schülerinnen und Schüler, der Zyklus und die Schulstufe, regionale Spezifika etc. sind für ein passendes Modell ausschlaggebend (vgl. Le Pape Racine 2024).
⏵ 3.1 Zyklus und Schulstufe
Welche Stufe eignet sich am besten für den bilingualen Unterricht?
Jeder Zyklus und jede Schulstufe bringen Vor- und Nachteile mit sich. Bilingualer Unterricht lässt sich in allen Altersklassen umsetzen, unter Berücksichtigung der spezifischen Voraussetzungen der Schülerinnen und Schüler wie Alter oder Vorkenntnisse in der Fremdsprache.
Im Zyklus 1 sind die Schülerinnen und Schüler in der Regel sehr motiviert und sind stolz, wenn sie auch in einer Fremdsprache neue Inhalte erschliessen und Wissen aufbauen. Allerdings haben sie noch keinen Fremdsprachenunterricht, was bedingt, dass die Lehrperson eine passende sprachliche Unterstützung anbieten muss.
Im Zyklus 2 setzt der Fremdsprachen-unterricht ein, was den bilingualen Unterricht stützen und entlasten kann. Auf Primarstufe haben (Klassen-)Lehrpersonen häufig die Möglichkeit, fächerübergreifend zu unterrichten. Beispielsweise bearbeiten sie in Französisch und NMG dasselbe Thema, wobei im Fremdsprachenunterricht die sprachlichen Mittel aufgebaut werden, damit die Sprache im NMG keine Barriere mehr für die Schülerinnen und Schüler darstellt. Allerdings sind die Lernenden im Zyklus 2 noch jung und verfügen erst über geringe Fremdsprachenkenntnisse.
Im Zyklus 3 weisen die Lernenden in der Fremdsprache bereits eine höhere Sprachkompetenz auf. Gleichzeitig kann jedoch die Lernmotivation in diesem Alter sinken. Der erweiterte Fächerkanon auf dieser Schulstufe erschwert zudem fächerübergreifenden Unterricht, wodurch die Fachlehrpersonen gezwungen sind, den bilingualen Unterricht innerhalb ihrer regulären Lektionen unterzubringen.
Gleichzeitig verfügen ältere Lernende über eine ausgeprägtere Reflexionsfähigkeit und erkennen in der Regel den funktionalen Nutzen, wenn sie ihre rezeptiven fremdsprachlichen Kompetenzen durch bilingualen Unterricht gezielt weiterentwickeln können.

Pia Effront-Finck

Pia Effront-Finck

Marie-Antoinette Oberdorf
⏵ 3.2 Geeignete Fächer, Projektarbeit
Welche Fächer eignen sich für bilingualen Unterricht?
Grundsätzlich kann man jedes Fach bilingual unterrichten, solange die Inhalte konkret sind. Fächer wie Gestalten oder Bewegung und Sport bieten sich an, weil vieles vorgezeigt und kommentiert werden kann. Aber auch in abstrakteren Fächern wie Geografie oder Mathematik gibt es sehr konkrete Unterrichtsinhalte (vgl. Kursmappe, Kapitel 2.1).
Was ist der Vorteil von Projektarbeit?
Ein grosser Vorteil der Projektarbeit liegt darin, dass sie die Grenzen der traditionellen Fächeraufteilung aufbricht – was insbesondere im bilingualen Unterricht von Vorteil ist, da die zeitlichen Vorgaben oft begrenzt sind. Durch die Verbindung von Sprachfächern (Deutsch, Französisch, Englisch) mit sogenannten nicht-sprachlichen Fächern (wie NMG oder Mathematik) entstehen wertvolle Synergien, die es ermöglichen, den Unterricht zeitlich flexibler zu gestalten und Sprachwechsel zu integrieren.
Wenn es gelingt, über einen Zeitraum von mehreren Wochen intensive Sprachphasen zu schaffen, können dadurch äusserst positive Lernergebnisse erzielt werden (vgl. z.B. Französischmonat am Oberstufenzentrum Leimental, S. 43).
Si l'on parvient à créer des phases linguistiques intensives sur une période de plusieurs semaines, cela permet d'obtenir des résultats d'apprentissage extrêmement positifs (cf. p. ex. le mois de français au Oberstufenzentrum Leimental, p. 43).
Schulweite Projektwochen bieten in diesem Zusammenhang eine ideale Plattform. In solchen Wochen könnten Workshops in den verschiedenen Schulsprachen (Deutsch, Französisch, Englisch) angeboten werden, was nicht nur den interdisziplinären Austausch fördert, sondern auch altersdurchmischtes Lernen ermöglicht.
Auch bei schulischen Anlässen, an denen Eltern beteiligt sind, können Schulleitungen und/oder Lehrpersonen gezielt die Mehrsprachigkeit fördern, indem sie Teile der Veranstaltung zweisprachig oder sogar dreisprachig gestaltet. So wird das Bewusstsein für die Sprachenvielfalt aktiv im Schulleben verankert.
⏵ 3.3. Aufbau bilingualer Züge (vertikale Kohärenz)
Wo gibt es Volksschulen mit bilingualen Zügen vom Kindergarten bis zur 9. Klasse?
In der Schweiz gibt es erst wenige Kantone, in denen die Lernenden vom Kindergarten bis ans Ende der obligatorischen Schulzeit bilingual unterrichtet werden können (vgl. Kursmappe, Kapitel 1.2). Neuenburg ist der einzige einsprachige Kanton, in dem dies durch das PRIMA-Programm seit 2010 möglich ist.
Die Einführung eines bilingualen Zugs erfordert eine gezielte Schulentwicklung, die sowohl von der Schulleitung als auch von den zuständigen Behörden unterstützt wird.
Bevor ein vollständiger bilingualer Zug geplant und umgesetzt wird, ist es entscheidend, sicherzustellen, dass ausreichend personelle Ressourcen zur Verfügung stehen. Die Lehrpersonen müssen frühzeitig entsprechende Weiterbildungen absolvieren und ausreichend Zeit haben, sich auf die neue Unterrichtsform vorzubereiten.
Wo gibt es Volksschulen mit vereinzelten bilingualen Klassen?
Die grosse Mehrheit der bilingualen Projekte an der Schweizer Volksschule betrifft vereinzelte Klassen, die über zwei bis vier Jahre bilingual unterrichtet werden (z.B. Vignettaz-Kindergartenklassen, FR).
D.h., bilingualer Unterricht muss nicht über die gesamte Schulzeit hinweg angeboten werden, sondern kann auch auf bestimmte Schuljahre beschränkt sein. Zwar ist es bedauerlich, wenn die bilinguale Erfahrung nach nur einem Schuljahr endet, doch selbst in begrenzter Zeit profitieren die Schülerinnen und Schüler von jeder zusätzlichen Stunde, in der sie intensiven Kontakt mit der Zielsprache haben.
Häufig beginnt ein bilinguales Projekt an einer Schule durch engagierte Lehrpersonen, die in ihren Klassen den Anfang machen und nach dem Schneeballprinzip das Kollegium schrittweise mitziehen (vgl. z.B. ANIMA, NE oder SOprima, SO).
Grundsätzlich ist ein solches Bottom-up-Vorgehen einem Top-down-Ansatz vorzuziehen. Wird ein Kollegium von der Schulleitung zum bilingualen Unterricht verpflichtet, ohne dafür wirklich motiviert zu sein, leidet die Qualität dieser Unterrichtsform erheblich.
Was können Gründe sein, um einen bilingualen Zug aufzulösen?
Wenn es nur einen bilingualen Zug an einem Schulort gibt, bedeutet dies, dass die Kinder und Jugendlichen ihre gesamte Schulzeit in derselben Klasse verbringen. Dies kann zu einem Clan-artigen Verhalten führen. Es bietet sich an, die bilingualen Klassen durch motivierte Lernende zu ergänzen, um das Klassenklima aufzulockern.
Im Elsass können die Lernenden im Laufe ihrer obligatorischen Schulzeit sowie bis zum ABIBAC das Schulhaus oder die Klasse wechseln, da ein grosses Angebot vorhanden ist (vgl. Kursmappe, Kapitel 1.4). Einige steigen dennoch frühzeitig aus, z.B. weil sich die Eltern Sorgen machen, ihre Kinder nicht adäquat beim Lernen begleiten zu können.
⏵ 3.4. Selektion der Lernenden
Wie wählt man die Schülerinnen und Schüler für den bilingualen Zug aus?
Erfahrungen haben gezeigt, dass die Elternnachfrage gross ist, sobald es ein bilinguales Angebot gibt. Wenn die Nachfrage das Angebot übersteigt, müssen Zulassungskriterien festgelegt werden.
Eine Möglichkeit wäre, die Einschreibereihenfolge zu berücksichtigen (first come, first served) oder die Sprachbiografie der Lernenden einzubeziehen. Dies könnte mehrsprachige Kinder und Jugendliche begünstigen oder jene, die bereits Deutsch als Erstsprache sprechen. Alternativ könnten die Eltern frei entscheiden, ob sie ihr Kind für den bilingualen Unterricht anmelden. Solche Kriterien bergen jedoch das Risiko, sogenannte „Eliteklassen“ zu schaffen, da bildungsnahe Eltern die Vorteile eines bilingualen Angebots eher erkennen und nutzen, während bildungsfernere Eltern möglicherweise zögerlicher sind. Dennoch zeigen Beispiele wie Siders/Sierre oder Biel/Bienne, dass das Engagement aller Beteiligten in solchen Fällen oft besonders hoch ist.
Eine weitere Option wäre, die Zuteilung dem Zufall zu überlassen, etwa durch ein Losverfahren oder die Aufnahme aller Kinder aus dem Einzugsgebiet in den bilingualen Zug. Dies verhindert die Entstehung von Eliteklassen. Das Losverfahren hat jedoch den Nachteil, dass Geschwister unter Umständen in verschiedene Programme eingeteilt werden. Die Begrenzung auf das Einzugsgebiet kann dazu führen, dass bestimmte Wohnviertel, in denen viele schulpflichtige Kinder leben, besonders attraktiv werden, wie dies in Neuchâtel/Neuenburg beobachtet wurde.
In Privatschulen gelten oft andere Auswahlkriterien. So nahm die École Moser anfangs eher Kinder auf, die in der öffentlichen Schule Schwierigkeiten hatten. Heute hingegen ist sie anspruchsvoll und nimmt nur Lernende mit guten schulischen Leistungen auf.
⏵ 3.5. Bedeutung der Sprache
Welches sind die Ziele im bilingualen Unterricht?
Im Zentrum des bilingualen Unterrichts stehen primär die Lernziele des jeweiligen Sachfachs. Die fachlichen Inhalte stehen im Vordergrund, während die Sprache als Medium dient, um diese Inhalte zu vermitteln. Dabei geht es darum, sprachliche Barrieren möglichst abzubauen, sodass die Schülerinnen und Schüler die fachlichen Kompetenzen effizient erwerben und umsetzen können. Ein zentrales Ziel besteht also darin, die Sprache nicht als Hindernis wahrzunehmen, sondern als Werkzeug, um das Lernen im Sachfach zu unterstützen.
Wie stellt man sicher, dass die Sprache kein Hindernis für das fachliche Lernen ist?
Um sicherzustellen, dass die Sprache kein Hindernis für das fachliche Lernen darstellt, gibt es verschiedene methodische Ansätze. Im bilingualen Unterricht achten Lehrpersonen besonders auf sprachliche Hürden und versuchen, diese durch angepasste Unterrichtsmethoden und Materialien zu verringern. Dazu gehört die sorgfältige Einführung von Fachbegriffen und komplexen Inhalten sowie die Klärung schwieriger Begriffe im Unterricht (vgl. Kursmappe, Kapitel 3.3). Die Sprache wird so zu einem bewussten Instrument des Denkens und Kommunizierens. Diese Kombination aus sprachlichem und fachlichem Lernen führt zu einem sprachbewussten Unterricht, bei dem die Sprache aktiv zur Förderung des Lernens genutzt wird.
Im Zuge der Entwicklung des bilingualen Unterrichts hat sich gezeigt, dass verschiedene methodische Ansätze zur Verfügung stehen, die je nach den Voraussetzungen der Lernenden und Lehrenden flexibel angewendet werden können. Ein möglicher Ansatz besteht darin, ein Thema über einen bestimmten Zeitraum ausschliesslich in der Zielsprache Französisch zu behandeln und abschliessend eine kurze Wiederholung auf Deutsch durchzuführen. Dies stärkt sowohl das Verständnis der fachlichen Inhalte als auch den Spracherwerb in beiden Sprachen.
Ein weiteres, heute weit verbreitetes Modell ist die integrierte Sprachförderung im Fachunterricht. Dabei werden die sprachlichen Bedürfnisse der Schülerinnen und Schüler gezielt erfasst, um ihnen den sprachlichen Zugang zu fachlichen Inhalten zu ermöglichen. Die Lehrperson kann innerhalb einer Unterrichtssequenz bewusst Sprachwechsel (alternance des langues, Code-Switching) einsetzen. Im Vorfeld wird klar festgelegt, wann die Unterrichtssprache, wann die Zielsprache und wann beide Sprachen parallel verwendet werden
Welche Sprache lernen die Schülerinnen und Schüler im bilingualen Unterricht?
Im bilingualen Unterricht lernen die Schülerinnen und Schüler sowohl die Bildungs- als auch die Fachsprache. Dabei handelt es sich um spezifische Sprachregister für den schulischen Kontext. Idealerweise werden im bilingualen Unterricht die Fachbegriffe sowohl in der Schulsprache als auch in der Zielsprache erlernt, um ein umfassendes Verständnis und eine optimale sprachliche Ausgangslage zu ermöglichen.
Neben der Fachsprache wird im bilingualen Unterricht auch ein weiteres, informelleres Sprachregister eingeübt, insbesondere bei der Anwendung der Klassenzimmersprache (langage de classe). Das Klassenmanagement sollte überwiegend in der Zielsprache erfolgen, wobei möglichst auf bekannte Ausdrücke aus dem Fremdsprachenunterricht zurückgegriffen wird, sofern dieser bereits Teil der Stundentafel ist.
Wie wähle ich den zu erlernenden Wortschatz aus?
Bei der Wortschatzauswahl im bilingualen Unterricht gilt es, eine sinnvolle Balance zu finden. Es ist nicht erforderlich, dass alle möglichen Wörter eines Themenfeldes behandelt werden. Vielmehr sollten die zentralen Begriffe gewählt werden, die für eine erfolgreiche Kommunikation über die Fachinhalte unerlässlich sind. Diese fokussierte Herangehensweise hilft den Schülerinnen und Schülern, das Wesentliche zu erfassen, ohne von der Fülle an neuen Wörtern überfordert zu werden.
Im bilingualen Unterricht erfolgt der Spracherwerb inhaltsorientiert. Dies bedeutet, dass die Schülerinnen und Schüler die Begriffe und Strukturen der Zielsprache im Kontext der behandelten Themen erlernen. Beispielsweise würden in einem traditionelleren Fremdsprachenunterricht systematisch alle 7 Wochentage, 12 Monate oder Farben gelehrt und gelernt. Im inhaltsorientierten und im bilingualen Unterricht hingegen orientiert sich das Vokabular an den aktuellen Themen. So könnte es vorkommen, dass die Kinder die Farbe "grün" lernen, weil sie im Frühling den Wald erkunden, während "rot" und "braun" erst im Herbst eine Rolle spielen. Diese Auswahl kann zunächst überraschen, doch die Verknüpfung mit konkreten Dingen oder Tätigkeiten erleichtert den langfristigen Spracherwerb und sorgt dafür, dass die Begriffe besser im Gedächtnis bleiben, als es bei isoliertem Lernen von Einzelwörtern der Fall wäre.
Neben den kommunikativen Phasen, in denen die Schülerinnen und Schüler der Zielsprache ausgesetzt sind, gibt es auch Phasen der «Form-Focus Instruction». Diese Phasen dienen der expliziten Vermittlung grammatischer Strukturen oder der gezielten Sprachförderung. Sie finden idealerweise im regulären Fremdsprachenunterricht statt, sofern dieser Teil der Stundentafel ist.

Pia Effront-Finck
⏵ 3.6. Regionale Spezifika
Welche Gebiete eignen sich besonders für bilingualen Unterricht?
Bilingualer Unterricht eignet sich besonders in vielsprachigen Regionen und Kantonen der Schweiz. Kantone wie das Wallis, Freiburg, Bern und Graubünden, in denen zwei oder mehr Sprachen gesprochen werden, bieten ein natürliches Umfeld für bilingualen Unterricht. In diesen Kantonen gibt es bereits etablierte Modelle, insbesondere auf der Sekundarstufe II, aber auch Projekte auf Volksschulstufe, die bereits seit über 30 Jahren, wie im Wallis, erfolgreich laufen (vgl. Kursmappe, Kapitel 1.3).
Darüber hinaus sind auch Regionen in unmittelbarer Nähe zur Sprachgrenze gut geeignet für die Einführung von bilingualen Unterrichtsformen. Dies betrifft Kantone wie Basel-Stadt, Basel-Land, Solothurn, Jura und Neuenburg. Obwohl diese Kantone offiziell als einsprachig gelten, profitieren sie von der Nähe zur Sprachgrenze und den daraus resultierenden sprachlichen und kulturellen Einflüssen.
Eine gleichzeitige, flächendeckende Einführung bilingualer Schulen kann jedoch nicht zielführend sein. Stattdessen sollten Schulen, die sich durch ein bilinguales Angebot profilieren möchten, bei der Umsetzung bilingualen Unterrichts unterstützt werden. Es könnten bestimmte Orte ausgewählt werden, an denen motivierte und qualifizierte Lehrpersonen mit dem passenden Profil zur Verfügung stehen. Dieses selektive Vorgehen gewährleistet eine höhere Qualität des Unterrichts und fördert die Motivation aller Beteiligten. Mit der Zeit werden sich im Schneeballprinzip weitere Schule anschliessen.
Welche regionsspezifischen Gründe gibt es, um bilinguale Klassen zu eröffnen?
Einer der Gründe bei der Einführung zweisprachiger Klassen sind wirtschaftliche Vorteile: Der bilinguale Unterricht fördert die kompetente Anwendung einer weiteren Sprache, was den Schülerinnen und Schülern grössere berufliche Chancen eröffnet. In Graubünden können bilinguale Züge das Konkurrenzverhältnis zwischen Deutsch und Rätoromanisch oder Italienisch ein Stück weit aufheben. In Grenzregionen ist die Zwei- oder Mehrsprachigkeit auf dem Arbeitsmarkt gefragt.
Neben ökonomischen Aspekten gibt es auch historische Gründe für bilingualen Unterricht. So spielt im Elsass die deutsche Sprache eine besondere Rolle. Der bilinguale Unterricht hält diese historische Dimension lebendig und ermöglicht einen tieferen Zugang zur eigenen Kultur.
Auch sprachpolitische Aspekte sind in bestimmten Regionen ausschlaggebend für die Eröffnung bilingualer Klassen, wenn es um den Erhalt von Minderheitensprachen wie Rätoromanisch oder Elsässisch geht. Bilinguale Angebote tragen dazu bei, dass diese Sprachen im Alltagsleben von Kindern und Jugendlichen weiterhin eine Rolle spielen und erhalten bleiben.
⏵ 4. Rolle der Schulleitungen
Wie wichtig ist die Schulleitung bei der Umsetzung eines bilingualen Projekts?
Die Schulleitung ist entscheidend für die erfolgreiche Einführung und langfristige Umsetzung eines bilingualen Projekts. Sie übernimmt die Rolle eines Bindeglieds, das alle beteiligten Gruppen – Lehrpersonen, Schülerinnen und Schüler, Eltern, das Amt und die Gemeinde – miteinander verbindet. Ohne das Einverständnis und die aktive Unterstützung der Schulleitung kann ein bilinguales Projekt nicht realisiert werden.
Die Schulleitung stärkt das Projekt insbesondere dann, wenn sie mit persönlichem Engagement und Überzeugung handelt. Trägt sie ihre Begeisterung nach aussen, wirkt dies motivierend auf die Eltern und die Schulgemeinde, wodurch die Akzeptanz und Unterstützung für das Projekt wächst. Ein schrittweiser Einstieg, beispielsweise auf einer bestimmten Klassenstufe oder in einem kleinen Schulhaus, kann eine positive Dynamik fördern und dem Projekt erlauben, organisch zu wachsen.
Was genau hat eine Schulleitung zu tun?
Eine Schulleitung muss zunächst die nötigen personellen Ressourcen finden, die Lehrpersonen ausgewählten Teams zuteilen und Möglichkeiten für die methodisch-didaktische und sprachliche Weiterbildung der Lehrpersonen schaffen, z.B. in Form von Kursangeboten und/oder Hospitationen in einer anderen bilingualen Klasse. Ausserdem muss sie bei der Organisation der Stundenpläne die Bedürfnisse der bilingual unterrichtenden Lehrpersonen bzw. der zweisprachigen Klassen im Blick haben.
Eine Schulleitung kann die bilingual tätigen Lehrpersonen auch für ihren Zusatzaufwand entschädigen. Dabei ist es empfehlenswert, dass die Lehrpersonen zu Beginn beispielsweise während 2 Schuljahren mit Entlastungslektionen entschädigt werden. In der Regel ist der Rahmen einer möglichen Entlastung auf Gemeinde- und/oder kantonaler Ebene geregelt.
Die Schulleitung stellt auch die Kommunikation gegen aussen und innen sicher, sie muss für Unvorhergesehenes bereit sein und allfällige Konflikte im Kollegium oder mit Eltern ansprechen und lösen können.
Wie bringt sich eine Schulleitung auf den aktuellen Wissensstand?
Um über aktuelle Entwicklungen und bewährte Methoden informiert zu bleiben und um diese gezielt in das Projekt zu integrieren, ist eine Zusammenarbeit mit einer Pädagogischen Hochschule empfehlenswert.
Ein regelmässiger Austausch mit anderen Schulleitungen, die bilinguale Projekte durchführen, ist ebenfalls wertvoll. Dies kann durch die Einrichtung eines Leitungsausschusses unterstützt werden, der vom Amt organisiert und von interessierten Schulleitungen, Lehrpersonen und Verwaltungsmitgliedern besetzt wird. Der Leitungsausschuss trifft sich mehrmals im Jahr, um bewährte Praktiken zu diskutieren, sich über konkrete Probleme auszutauschen und gemeinsam Lösungen zu entwickeln.

Laurent Gajo

Marie-Antoinette Oberdorf
⏵ 5. Lehrpersonen
⏵ 5.1. Profil und Ausbildung
Was muss eine Lehrperson, die bilingual unterrichten will, alles können?
Lehrpersonen mit dem idealen Profil für bilingualen Unterricht sind eine Seltenheit. Es braucht ausgebildete Lehrpersonen für die Zielstufe, die mit dem lokalen Schulsystem vertraut sind, über hohe Sprachkompetenzen in der Schul- und in der gewünschten Fremdsprache verfügen und sich im Bereich der bilingualen Didaktik weitergebildet haben. Aktuell gibt es noch nicht viele Weiterbildungsangebote. Möglich wäre zu Beginn auch eine schulhausinterne Gruppe, die von einer Fachperson on the job begleitet wird. Ausserdem brauchen bilingual unterrichtende Lehrpersonen am Anfang Mut und Risikobereitschaft.
Das Alter spielt dabei keine Rolle. Es gibt Junglehrpersonen, die beispielsweise eines ihrer Praktika in einer bilingual geführten Klasse gemacht haben, und sich für ihre erste Anstellung eine solche Klasse wünschen. Es gibt aber auch Lehrpersonen, die nach einer bestimmten Zeit des Unterrichtens Lust auf Neues verspüren und im bilingualen Unterricht eine neue Herausforderung sehen.
Für den bilingualen Unterricht sind Lehrpersonen erforderlich, die über ausgeprägte kommunikative Fähigkeiten verfügen, insbesondere auch über die nonverbale Ausdrucksweise (Gestik, Mimik). Sie sollten mit ihrem Enthusiasmus die Freude und die Aufmerksamkeit der Schülerinnen und Schüler gewinnen, selbst wenn diese das Gefühl haben, im Sachfach eine zusätzliche sprachliche Herausforderung bewältigen zu müssen.
Für bilinguale Züge wird aktiv um gut ausgebildete Lehrpersonen geworben. Innerhalb der Schweiz erhalten junge Absolventinnen und Absolventen einer Pädagogischen Hochschule finanzielle Unterstützung, wenn sie ihr erstes Berufsjahr in einer anderen Sprachregion machen (Movetia: NALE).

Gian-Paolo Curcio

Caroline Kempf

Pia Effront-Finck
Wie können sich angehende Lehrpersonen Kompetenzen in der bilingualen Didaktik aneignen?
Die zwei- bzw. dreisprachig geführten Pädagogischen Hochschulen (PH) im Wallis, Freiburg und Graubünden ermöglichen ein Studieren in einem mehrsprachigen Kontext. An der PH Wallis findet ein Drittel der Ausbildung in der jeweils anderen Sprache (Deutsch oder Französisch) statt. Dadurch erfahren die Studierenden nicht nur eine kulturelle Bereicherung, sondern lernen auch den anderen Lehrplan näher kennen und tauchen in die Schulkultur des anderen Kantonsteils ein.
An der PH Graubünden gibt es zwei Professuren zur «Integrierten Mehrsprachigkeitsdidaktik», einmal mit Schwerpunkt Italienisch (Leitung: Prof. Dr. Vincenzo Todisco) und einmal mit Schwerpunkt Romanisch (Leitung: Prof. Dr. Rico Cathomas). Dabei wird erforscht und gelehrt, wie Schülerinnen und Schüler mehrere Sprachen lernen bzw. wie Lehrpersonen mehrere Sprachen lehren.
Die PHBern und die HEP-BEJUNE bieten in ihrem bilingualen Studiengang wie die anderen PHs der zwei- bzw. dreisprachigen Kantone ein Diplom mit zweisprachigem Abschluss an, das von den Studierenden verlangt, dass sie einen Teil der Kurse und Praktika in der Partnersprache absolvieren. Die Besonderheit dieses Studiengangs besteht darin, dass drei Semester des Studiums an der PHBern (auf Deutsch) und drei weitere an der HEP-BEJUNE (auf Französisch) absolviert werden.
Grundsätzlich steht die Möglichkeit für Semestermobilitäten allen Studierenden einer Schweizer PH offen. Lehrpersonen, die sich noch in Ausbildung befinden, können ein Semester an einer PH im anderen Landesteil studieren und werden dabei von Movetia unterstützt.
Bestimmte PHs bieten ihren Studierenden die Möglichkeit, ein Praktikum in einer bilingual geführten Klasse zu machen. Die Neuenburger Lehrpersonen des PRIMA-Programms bieten jährlich zahlreiche Praxisplätze in ihren Klassen für Studierende verschiedener Deutschschweizer PHs an (die PH FHNW, PH Zug und PH Schaffhausen nutzen dieses Angebot).
An einigen PHs können spezifische Module zum bilingualen Unterricht belegt werden. Dies bedingt, dass Dozierende verschiedener Fachbereiche (Sprache und Sachfach) interdisziplinär zusammenarbeiten. Zweisprachige Angebote an PHs können in einem kleinen oder in einem grösseren Rahmen stattfinden: von kurzen immersiven Inseln (îlots immersifs, S. 34-36) mit NMG und Französisch an der PH FHNW, eine jährliche Projektwoche zum Thema Sport und Fremdsprachen an der PH Zürich, ein gesamtes Schwerpunktmodul als Kooperation der Fachbereiche Bewegung und Sport und Fremdsprachen an der PH FHNW oder auch ein Forschungsprojekt zum Lernen und Lehren von Sprachen und Musik an der hep Vaud.

Thierry Rohmer

Raphael Berthele
Wie können bereits amtierende Lehrpersonen Kompetenzen in der bilingualen Didaktik aneignen?
Beim Start eines bilingualen Projekts kann man in der Regel nicht warten, bis Lehrpersonen umfassend ausgebildet sind oder vollständiges Unterrichtsmaterial vorliegt – sonst beginnt man nie. Die Entwicklung muss schrittweise und parallel erfolgen. Eine enge Zusammenarbeit mit einer Hochschule, die begleitend und unterstützend wirkt, ist dabei essenziell.
Projekte wie ANIMA (NE) und SOprima (SO) bieten eine ideale Möglichkeit, um „leicht“ zu beginnen und das Projekt mit wachsender Erfahrung und Sicherheit schrittweise auszuweiten. Eine weitere wertvolle Methode ist der Austausch von Lehrpersonen zwischen Regionen, z. B. Solothurner Lehrpersonen in Neuenburg oder Lehrpersonen aus dem Elsass in Basel und umgekehrt (vgl.Projekt «Immersion autrement»).
Für einen erfolgreichen bilingualen Unterricht benötigen Lehrpersonen:
- solide Sprachkenntnisse, die z. B. durch berufsspezifische Sprachkurse oder Aufenthalte im Zielsprachengebiet – idealerweise an einer Schule – aufgefrischt werden können,
- Grundwissen über bilingualen Unterricht, um Sprach- und Sachinhalte integrativ zu kombinieren,
- ein breites Repertoire an Methoden und Unterrichtsideen, das beispielsweise durch Hospitationen erweitert werden kann,
- individuelle Beratung, z. B. durch Unterrichtsbesuche mit begleitendem Coaching,
- vertiefte Fachkenntnisse durch Weiterbildungstage oder ein CAS, um nach erfolgtem Abschluss ihr Wissen als Multiplikatorinnen und Multiplikatoren weiterzugeben,
- Kenntnis von bestehenden Materialien für den bilingualen Unterricht und didaktisches Wissen zur Aufbereitung eigenen Unterrichtsmaterials.

Giuseppina Biundo
⏵ 5.2. Zusammenarbeit im Team
Bei bilingualem Unterricht ist ein unterstützendes Team von grosser Bedeutung. Dieses Team kann schulhausintern sein, wenn an derselben Schule andere Lehrpersonen ebenfalls bilingual unterrichten, oder auch in schulübergreifenden Arbeits- und Weiterbildungsgruppen organisiert sein. Schulleitungen berichten, dass sie durch die Einführung des bilingualen Unterrichts eine engere Zusammenarbeit im Team feststellen.
Anfangs könnte der Eindruck entstehen, dass das bilinguale Projekt nur die Lehrpersonen betrifft, die bilingual unterrichten, während sich für die Kolleginnen und Kollegen, die weiterhin in der Schulsprache unterrichten, nichts ändert. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass es sinnvoll ist, auch diese Lehrpersonen von Anfang an in das Projekt einzubeziehen. Das Projekt gewinnt an Gewicht, wenn das ganze Kollegium involviert ist. Beispielsweise kann eine Lehrerin oder ein Lehrer auf Inhalte eingehen und Aspekte in ihren Unterricht integrieren, die in der anderen Sprache behandelt werden, sowie Materialien nutzen, die im Klassenraum ausgehängt sind (z.B. Wochentage, Zahlen, Farben, thematische Schemata), auch wenn sie die andere Sprache (noch) nicht sehr gut beherrscht. Dies steigert die Kohärenz.
Bei der Einführung von bilingualem Unterricht auf einer bestimmten Stufe ist es entscheidend, das gesamte, stufenübergreifende Team darüber zu informieren. Die Lehrpersonen müssen wissen, wohin sie ihre Schülerinnen und Schüler schicken und woher diese kommen.
Eine reibungslose, transparente Kommunikation zwischen allen Ebenen – also zwischen den Lehrpersonen, den Schulleitungen und den Verantwortlichen im Amt – ist von zentraler Bedeutung für das Gelingen des bilingualen Projekts.
⏵ 6. Schülerinnen und Schüler
⏵ 6.1. Unterstützung der Lernenden
Welche Praktiken bewähren sich zu Beginn des bilingualen Unterrichts?
Zu Beginn kann der bilinguale Unterricht bei den Schülerinnen und Schülern unter Umständen auch Unmut und Unsicherheiten hervorrufen. Es ist wichtig, mögliche Missverständnisse aus dem Weg zu räumen und klarzustellen, dass bilingualer Unterricht keine Verschlechterung der Noten zur Folge hat. Die Fremdsprache dient hierbei hauptsächlich als Werkzeug, nicht als eigentlicher Lerninhalt. Dennoch bietet der bilinguale Unterricht die Chance, die Sprachkenntnisse zusätzlich zu vertiefen.
Den Schülerinnen und Schülern steht es frei, sich weiterhin in der regulären Schulsprache auszudrücken. Ein zentrales Prinzip des bilingualen Unterrichts ist es, sicherzustellen, dass alle Lernenden mitkommen und niemand aufgrund sprachlicher Hürden vom fachlichen Lernen ausgeschlossen wird. Anfangs sind durch einen sprachlich einfachen Einstieg Erfolgserlebnisse essenziell, damit alle Schülerinnen und Schüler erleben, dass sie dem Fach auch in der Fremdsprache gut folgen können. Es hat sich bewährt, regelmässige Wiederholungen einzubauen, bei denen sie ihr Wissen überprüfen können.
Um den bilingualen Unterricht effektiver zu gestalten, sollte die Lehrperson abstrakte Inhalte häufig durch Bilder, Videos oder Grafiken veranschaulichen oder vorzeigen, sodass die Schülerinnen und Schüler bei Bedarf darauf zurückgreifen können. Plakate und andere visuelle Materialien an den Wänden des Klassenzimmers leisten hierbei ebenfalls wertvolle Unterstützung.

Marie-Antoinette Oberdorf

Pia Effront-Finck
⏵ 6.2. Schülerinnen und Schüler mit Lernschwierigkeiten
Überfordert bilingualer Unterricht Schülerinnen und Schüler mit Lernschwierigkeiten?
Für ein Kind mit Lernschwierigkeiten oder in einer belastenden Situation, sei es aufgrund familiärer Umstände, schulischer Herausforderungen oder Ähnlichem, kann es zu Überlastungserscheinungen kommen. Diese sind jedoch meist nicht auf den bilingualen Unterricht an sich zurückzuführen, sondern entstehen durch eine allgemeine Überforderung. Die Anzeichen dafür können im schulischen Verhalten möglicherweise stärker oder schneller zutage treten, wenn zwei Sprachen im Unterricht verwendet werden. Das Problem sind jedoch nicht die zwei Unterrichtssprachen, sondern die Zweisprachigkeit kann höchstens als Auslöser wirken.
Auch im bilingualen Unterricht zählen Kinder mit Lernschwierigkeiten nicht plötzlich zu den leistungsstärksten Lernenden. Dennoch können sie sowohl fachliche als auch sprachliche Fortschritte erzielen, wenngleich auf einem niedrigeren Niveau.
⏵ 6.3. Anderssprachige Lernende
Überfordert bilingualer Unterricht Lernende mit einer anderen Erstsprache?
Im bilingualen Unterricht relativiert sich der Vorteil der Schülerinnen und Schüler, die in der Schulsprache bereits hochkompetent sind. Wenn ein Fach in einer Fremdsprache unterrichtet wird, ist die sprachliche Herausforderung für alle ähnlich hoch. Lernende mit einer anderen Erstsprache haben oft bereits Strategien entwickelt, um sich in Situationen zurechtzufinden, in denen sie nicht alles verstehen – diese Fähigkeiten kommen ihnen im bilingualen Unterricht zugute.
Interessanterweise kann es vorkommen, dass einsprachig aufwachsende Lernende, die sich weniger an sprachliche Hürden gewöhnt haben, zu Beginn grössere Schwierigkeiten mit dem bilingualen Unterricht haben als ihre mehrsprachigen Mitschülerinnen und Mitschüler. Kinder und Jugendliche, die im Alltag bereits mehrere Sprachen nutzen, sind vertrauter mit dem Wechsel zwischen verschiedenen Sprachsystemen.
Fremdsprachige Lernende werden oft mit Kindern und Jugendlichen aus sozioökonomisch benachteiligten Familien assoziiert. Dabei wird übersehen, dass viele von ihnen aus bildungsnahen Familien stammen, in denen Mehrsprachigkeit als Bereicherung und nicht als Herausforderung angesehen wird.
Fremdsprachige Schülerinnen und Schüler benötigen einen hohen Anteil an sprachlichem Input in der Lokalsprache, um die nötigen Kompetenzen in der Schulsprache aufzubauen. Der Kontakt mit der Lokalsprache wird durch die ausserschulische Lernumgebung ergänzt. Das Argument, fremdsprachige Schülerinnen und Schüler würden wegen bilingualem Unterricht im Schulspracherwerb weniger Fortschritte erzielen, wird durch Studien zu bilingualen Projekten relativiert. Diese zeigen, dass die Kompetenzen in der Schulsprache nicht darunter leiden, wenn sie in weniger Fächern verwendet wird (vgl. z.B. PRIMA in NE). Vielmehr besteht unser sprachliches Repertoire aus mehreren Sprachen, die nicht in Konkurrenz zu einander stehen, sondern sich gegenseitig fördern und zum Aufbau sprachübergreifender Kompetenzen beitragen.
⏵ 7. Lehr- und Lernmaterialien
Was gibt es an Lehr- und Lernmaterialien für den bilingualen Unterricht?
Besonders zu Beginn ist die Verfügbarkeit von Materialien für den bilingualen Unterricht von grosser Bedeutung. Der Mangel an geeigneten Lehrmitteln kann ein Hindernis darstellen, wenn Schulen oder Lehrpersonen bilingualen Unterricht einführen möchten.
Speziell für den bilingualen Unterricht entwickelte Lehrmittel sind noch selten, und das aus zwei Hauptgründen: Erstens ist der Absatzmarkt dafür bislang begrenzt, und zweitens unterscheiden sich die Voraussetzungen in den Klassen stark. Zu diesen Faktoren zählen die Erfahrung mit dieser Unterrichtsform, die Anzahl an Jahren vorherigen Fremdsprachenunterrichts, ob der Fremdsprachenunterricht parallel stattfindet, sowie die sprachliche Zusammensetzung der Klasse (einsprachig, mehrsprachig oder reziprok immersiv) und der Anteil des Unterrichts, der bilingual durchgeführt wird. Aufgrund dieser Vielfalt an Bedingungen erstellen viele Lehrpersonen ihre Materialien selbst, um den spezifischen Bedürfnissen ihrer Klassen gerecht zu werden.
Dennoch wurden in den letzten Jahren einige Materialien für den bilingualen Unterricht durch kantonale, hochschulische und bundesweite Förderungen entwickelt, darunter Programme wie VABENE/VABENEJU, bili-macht-schule, BILUPP und eine Handreichung und Ideensammlung für Lehrpersonen. Diese Materialien bieten einen guten Ausgangspunkt, auch wenn sie für den eigenen Unterricht angepasst werden müssen. Ein zentrales Ziel dieser Projekte ist neben der Materialproduktion auch die Weiterbildung der teilnehmenden Lehrpersonen. Sie sollen lernen, nach welchen didaktischen Kriterien sie künftig eigene Unterrichtsmaterialien entwickeln können und sollen.
Die Entwicklung solcher Materialien erfordert erhebliche Zeit und Energie. Einige Kantone und Regionen unterstützen diese Arbeit, indem sie Lehrpersonen Entlastungsstunden oder finanzielle Entschädigungen anbieten.

Thierry Rohmer

Caroline Kempf

Giuseppina Biundo
Warum sind Materialien für den bilingualen Unterricht noch nicht weiter verbreitet?
Bisher zirkulieren Materialien für den bilingualen Unterricht noch nicht ausreichend. Oft entwickelt jede Lehrperson Material neu, das anderswo bereits existiert. Gründe für die Zurückhaltung beim Teilen sind unter anderem fehlende Quellen- oder Bildrechte, mangelndes Bewusstsein für den Wert dieser Materialien oder Zweifel, ob die Materialien bestimmten Qualitätsstandards entsprechen.
Die Digitalisierung hat jedoch den Austausch erleichtert, und immer mehr Gruppen teilen ihre Materialien miteinander. In Privatschulen wird das Teilen solcher Ressourcen bereits als verbindlicher Standard eingeführt, während im öffentlichen Bereich Projekte wie ENSEMBLE oder Weiterbildungsangebote in Form von Praxisbegleitungen diesen Austausch aktiv fördern.

Marie-Antoinette Oberdorf

Pia Effront-Finck

Marie-Antoinette Oberdorf

Giuseppina Biundo
⏵ 8. Elternarbeit
Wie stehen Eltern zum bilingualen Unterricht in einer Landessprache?
Je nach Region zeigen Eltern wenig Verständnis dafür, warum die Landessprachen im bilingualen Unterricht gefördert werden sollen und nicht Englisch. Hier ist es wichtig, über die Bedeutung und Rolle der Landessprachen umfassend zu informieren.
Sobald ein bilinguales Projekt etabliert ist, sinkt der Widerstand der Eltern meist deutlich. Im Gegenteil: Eltern beschweren sich häufig, wenn ihr Kind nicht an einem solchen Programm teilnehmen kann, weil es in einer anderen Schule oder Klasse eingeteilt ist.
Wie weit kann man den Wünschen der Eltern entgegenkommen?
Eltern sollten umfassend informiert werden, und die Kommunikation erfolgt idealerweise koordiniert über das Amt, die Schulleitung und die Lehrpersonen. Wichtig ist, dass die Eltern die Ziele des bilingualen Unterrichts verstehen und erfahren, wie sie ihr Kind bestmöglich unterstützen können.
Bei aller Rücksichtnahme auf die Anliegen der Eltern bleibt jedoch im Zentrum die Frage nach der optimalen Gestaltung von Lehr- und Lernprozessen für die Schülerinnen und Schüler.

Pia Effront-Finck
⏵ 9. Wissenschaftliche Begleitung
Worauf sollte bei einer wissenschaftlichen Studie zum bilingualen Unterricht geachtet werden?
Studien zum bilingualen Unterricht richten den Untersuchungsfokus u.a. auf folgende Forschungsfragen:
- Welche fremdsprachlichen Kompetenzen erreichen die Schülerinnen und Schüler im bilingualen Unterricht?
- Welche fachlichen Kompetenzen erreichen die Schülerinnen und Schüler im bilingualen Unterricht?
- Wie erfolgreich ist bilingualer Unterricht in einer heterogenen Lernendengruppe und insbesondere für Schülerinnen und Schüler mit Lernschwierigkeiten oder für anderssprachige Lernende?
- Welche Einstellungen haben die Schülerinnen und Schüler im bilingualen Unterricht?
- Inwiefern bilden sich im bilingualen Unterricht interkulturelle Kompetenzen aus?
- Welche spezifischen methodisch-didaktischen Aspekte machen einen erfolgreichen bilingualen Unterricht aus?
- Inwiefern können Lehrpersonen bei der Implementation von bilingualem Unterricht unterstützt werden?
Einige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler argumentieren, dass es noch zu wenige Studien gebe, um mit Sicherheit sagen zu können, dass bilingualer Unterricht tatsächlich Vorteile bringt. Besonders wird kritisiert, dass Studien oft in Projekten durchgeführt werden, bei denen eine Auswahl der Lernenden stattfindet. Dies könne die Ergebnisse verzerren, da die Leistungen der ausgewählten Schülerinnen und Schüler automatisch besser ausfallen als in regulären Klassen ohne Selektion.
Im Elsass wurden Studien beispielsweise in privilegierten Wohngebieten durchgeführt, was zu Verzerrungen führen kann.
Diese Kritik betrifft jedoch ausdrücklich nicht die Schweizer Studien, wie etwa jene zur Filière bilingue in Biel/Bienne (Jenny 2023), zu den zweisprachigen Primarschulen im Kanton Graubünden (Serra 2007) oder auch zum Programm PRIMA (PRIMA II 2015-1018). In diesen bilingualen Programmen erfolgt die Zuteilung der Schülerinnen und Schüler nach Einzugsgebiet, sodass minimale Selektionsverzerrungen nur dann vorliegen, wenn Eltern absichtlich an einen solchen Schulstandort ziehen, was jedoch relativ selten vorkommt.

Raphael Berthele
Warum ist eine wissenschaftliche Begleitung bei der Umsetzung eines bilingualen Projekts wichtig?
Die wissenschaftliche Begleitung ist bei der Einführung eines grösseren bilingualen Projekts von hoher Bedeutung, da sie den Ablauf auf allen Ebenen absichert – von der Verwaltung und Schulleitung über die Lehrpersonen bis hin zu Lernenden und Eltern – und eine laufende Dokumentation des Projektstands ermöglicht. So können Herausforderungen frühzeitig erkannt und gezielt angegangen werden.
Zudem können Erkenntnisse aus der wissenschaftlichen Begleitung direkt in die Weiterbildung der Lehrpersonen einfliessen. So wurde beispielsweise das Projekt Boujean/Bözingen «Ponts-Brücken» ab 2001 wissenschaftlich begleitet und die beteiligten Lehrpersonen entsprechend geschult. Auch im Projekt FiBi ab 2010 sowie im ClaBi-Projekt von 2019 bis 2023 wurden wissenschaftliche Begleitung und Weiterbildung kombiniert. Im PRIMA-Programm wird seit 2011 eine wissenschaftliche Begleitung durchgeführt, deren Ergebnisse ebenfalls in die Weiterbildung integriert wurden. Für das Projekt SOprima ist eine ähnliche Begleitung im Schuljahr 2024/25 geplant.
Für die Aufnahme eines immersiven Projekts in ein kantonales Programm ist ein wissenschaftlicher Bericht zudem unerlässlich, um den Bildungspolitikerinnen und -politikern eine fundierte Entscheidungsgrundlage zu bieten.
Was zeigen ausgewählte Studienergebnisse?
Studien aus dem Südtirol zur integrierten Mehrsprachigkeitsdidaktik zeigen, wie die Sprachen sich gegenseitig bereichern, wenn sie vernetzt gelernt werden (z.B. Guardo et al. 2022).
Studien zum PRIMA-Programm haben gezeigt, dass Schülerinnen und Schüler der deutsch-französisch bilingualen Klassen in der 2. Fremdsprache Englisch trotz identischer Stundentafel und Lehrmittel gegenüber nicht-bilingual unterrichteten Klassen einen Vorsprung von einem Jahr haben. In der Fremdsprache Deutsch liegt der Vorsprung sogar bei ein bis zwei Jahren, während sie in der Schulsprache Französisch das gleiche Niveau wie ihre Altersgenossen erreichen.
Für weitere Studienergebnisse siehe Kursmappe, Kapitel 1.3).